Gedenkstunde erinnert an Gräuel der Nazi-Zeit in Heddernheim

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Ortsvorsteherin Katja Klenner und Oberbürgermeister Mike Josef (von links) bei der Gedenkstunde am ehemaligen „Arbeitserziehungslager“ in Heddernheim, das zwischen 1942 und 1945 bestand. © Rainer Rüffer
Ortsvorsteherin Katja Klenner und Oberbürgermeister Mike Josef (von links) bei der Gedenkstunde am ehemaligen „Arbeitserziehungslager“ in Heddernheim, das zwischen 1942 und 1945 bestand. © Rainer Rüffer

Es ist still vor dem blauen Pavillon und der Pyramide mit den goldenen Buchstaben, an der drei Kränze liegen. Es ist still, obwohl mehr als 100 Leute hier sind, die sich an grausame Ereignisse erinnern wollen und der Menschen gedenken, die von der Gestapo im Zweiten Weltkrieg entmenschlicht und teilweise getötet wurden. Vor den Augen der Bewohner Heddernheims. Mindestens 13 000 Menschen wurden zwischen 1942 und 1945 hier gefangen gehalten, ausgebeutet und gequält, einige wurden hingerichtet. An sie wurde nun in einer Gedenkstunde erinnert.

Es ist still, bis Gitarre und Akkordeon erklingen. „Hoffman’s Hora“ spielen Ralf Engel und Andrii Fessenko von der Schmackes Band in die Stille, die nicht nur wegen der Kälte Gänsehaut verursacht. An dieser Stelle haben sich in den 1980er-Jahren ehemalige Häftlinge für einen Gedenkort am ehemaligen „Arbeitserziehungslager“ (AEL) der Gestapo in Heddernheim starkgemacht. Vor zwölf Jahren wurde das Mahnmal neu gestaltet, seit drei Jahren gibt es hier auf den Beschluss des Ortsbeirates 8 (Heddernheim, Niederursel, Nordweststadt) hin jedes Jahr am 23. März eine Gedenkstunde. Für Ortsvorsteherin Katja Klenner (CDU) „eine nötige und wichtige Mahnung, damit es nie wieder passiert. Für jeden im Stadtteil war es sichtbar, was hier geschehen ist.“

„Der Totenwagen kam fast jeden Tag“

Ihr Ton ist sachlich, die Stimme fest: „Es ist berichtet worden, dass man aus den oberen Stockwerken der damaligen ,Wirtschaft Kühn‘ – heute ist dort unser beliebtes Restaurant ,Al Camino‘ – in das Lager hineinschauen konnte. Und wenn die Gefangenenkolonnen morgens und abends in grauen Lagerjacken mit roten Streifen und den Buchstaben AEL auf dem Rücken durch den Ort marschiert sind, blieb auch das den Passanten nicht verborgen. Unter den Wachleuten, die SS-Uniformen trugen, waren auch Bürger von Heddernheim. Eine Augenzeugin und Nachbarin erinnert sich an brutale Gewaltausübung in diesem Lager. Ich zitiere: ,Der Totenwagen kam fast jeden Tag, das haben wir gesehen‘.“

Lisa Schrimpf vom Fritz-Bauer-Institut arbeitet an einer Vorstudie zum KZ Rhein-Main, wie das AEL auch genannt wurde – auf Anregung des Ortsbeirates und des Magistrats. Vor gut zehn Jahren hat der Stadtteilhistoriker Uwe Protsch dazu eine 13 000 Datensätze umfassende Datenbank zusammengetragen. 5000 von ihnen waren gesichert im AEL inhaftiert. Bei den anderen handelte es sich um Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und Polen, ein Viertel von ihnen Frauen und sogar Babys.

Bei der Gedenkstunde trägt der legendäre Schauspieler und Theaterleiter Willy Praml Gedichte von Rudolf Engelmann vor. Engelmann, einst leitender Ingenieur bei Merck in Darmstadt, war in Heddernheim inhaftiert, wurde später ins KZ Theresienstadt deportiert und starb am 24. Mai 1945. In die Stille vor Ort liest Praml aus „AEL-Nacht“ und „Tag- und-Nacht-Gleiche“ – Gedichte, die Engelmann hier schrieb. Worte, so scharf wie Peitschenhiebe, düster wie die Nacht und hart wie Stahlbeton. „Jede Nacht ist mir die längste Nacht, jeder Tag ist mit der längste Tag“, rezitiert er Verzweiflung, Hoffnungsschimmer und tiefsten Schmerz hinter Stacheldraht.

Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) mahnt ebenfalls. „Immer wieder gibt es die Diskussion darüber, warum man heute noch gedenken soll. Im Gedenken erinnern wir uns an die Schreckenstaten und daran, im Hier und Jetzt zu handeln. Damit sich Geschichte nicht wiederholt in Untätigkeit, in Schweigen und Wegsehen. Haltung zeigen ist enorm wichtig. Jeder Zwölfte hat rechtsextremes Gedankengut. Da helfen nicht nur Reden gegen Rassismus und Antisemitismus. Wir müssen uns dagegenstellen und aktiv werden. Unsere Geschichte ist eine zwingende Verantwortung.“

Klenner ist ebenso deutlich: „Diese Gedenkstätte erinnert an ein düsteres Kapitel unserer Geschichte. Sie ist ein Mahnmal, denn unsere Freiheit heute ist nicht unverwundbar. Längst nicht alle in der Welt tun in Konflikten das, was sich gehört, und achten die Menschenrechte. Der Angriffskrieg auf die Ukraine oder die brutalen Morde der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel zeigen das.“

Wieder gibt es Musik: „A Klezmer’s Lullaby“, ein jiddisches Wiegenlied – mahnend und aufrüttelnd.

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