Diese Bumb tut Wahrheit kund

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Mit elf Kanonenschüssen wurde an der Gemaa Bumb die närrische Saison 2020/21 eröffnet. fotoS: Rüffer, Menzel, Zuggemeinschaft © Rainer Rüffer
Mit elf Kanonenschüssen wurde an der Gemaa Bumb die närrische Saison 2020/21 eröffnet. fotoS: Rüffer, Menzel, Zuggemeinschaft © Rainer Rüffer

Ältestes Fastnachtssymbol Frankfurts erinnert sich. Diesmal Kanonenschläge ohne Umzug.

Ich warte 364 Tage im Jahr, dass es dunkel wird und das Leben um mich herum erwacht. Dass die Menschen mit den bunten Kleidern und lustigen Hüten sich um mich herum versammeln, die Scheinwerfer auf mich richten, mich erstrahlen lassen. Dass der Statthalter, sein Prokurator und andere hochrangige Narren neben mir stehen, das Volk seinen Schwur leistet und zum Abschluss die Kanone zündet. Elf Schüsse fallen jedes Jahr. Meistens zumindest, es gab auch schon Ausrutscher – das weiß ich, denn ich zähle jedes Mal mit. Was andere zusammenzucken lässt, ist Musik in meinen Ohren oder besser gesagt in meinen beiden Schlängeln, die rechts und links an mir herunterbaumeln. Weil ich weiß, dass ich es bin, die an diesem Tag, der Fastnachtseröffnung am 11. November, im Mittelpunkt steht. Ich, die Gemaa Bumb, die älteste und stolzeste Bewohnerin von Klaa Paris.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. Statt bei mir innezuhalten oder gar mit mir zu feiern, lassen mich die wenigen Menschen, die noch auf den Straßen unterwegs sind, links liegen. Viele von ihnen tragen seltsame Masken, die gar nicht komisch ausschauen. Meine Heddernheimer scheinen bedrückt zu sein, Sorgen zu haben. Sogar das jährliche Straßenfest, bei dem vor einigen Jahren sogar einmal Ebbelwei durch meine Leitungen gepumpt wurde, fiel in diesem Jahr aus. Ob man mich vergessen hat?

Wie anno 1839 alles angefangen hat

Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen, viel zu wichtig bin ich doch für die sonst gut gelaunten Menschen, die in Klaa Paris leben. Schließlich bin ich der Grund, warum hier überhaupt die Fastnacht gefeiert wird. 1839 wurde ich gegenüber der damaligen Schule in der Langgasse, heute Alt-Heddernheim, gebaut. Als erste öffentliche Pumpe in dem damals kleinen Dorf Heddernheim. Damit die Bauern nicht mehr mühevoll das Wasser aus den Ziehbrunnen heben mussten. Zu meinen Ehren beschlossen zwei junge Handwerksburschen, die ein Jahr zuvor den ersten Mainzer Fastnachtszug miterlebt hatten, mich hochleben zu lassen. Weil sie von meiner Schönheit so beeindruckt waren, zimmerten sie in einer kleinen Wirtschaft am Ortseingang sogar mein Ebenbild und trugen es durch die Straßen. Das war der erste Fastnachtszug, und auch wenn wir damals noch nicht zum großen Frankfurt gehört haben: Es ist der einzig wahre Umzug. Bis heute. Ich, die Gemaa Bumb, markiere nach wie vor den Anfang.

Denn die Fastnachtsdienstag-Tradition hat sich bis heute gehalten. Nur dass 110 weitere Zugnummern hinzugekommen sind, die durch die immer noch engen Gassen ziehen. Ich bezeichne sie liebevoll als meinen närrischen Hofstaat. Und sie alle huldigen mir, dem Original, wenn sie in Alt-Heddernheim vorüberlaufen und -fahren.

So stehe ich also hier seit 181 Jahren und warte auf meinen Auftritt. Der in diesem Jahr wohl ausfallen wird. Zumindest hatte ich fest damit gerechnet. Bis vor wenigen Tagen unser Statthalter Thomas I. bei mir auftauchte und neben mir herumturnte. Mit einem komischen schwarzen Teil in der Hand fuchtelte er herum, hielt es in Richtung seines Gesichtes und begann plötzlich zu reden. Jetzt, so dachte ich, jetzt geht es endlich los! Obwohl es noch gar nicht dunkel war. Und die anderen bunten Gestalten auch fehlten. Genauso schnell wie er gekommen war, war er jedoch wieder verschwunden. Aber von Thomas I., den ich bereits als kleinen Buben kannte und dessen Vater und Vor-Vorgänger Alfons I. ich sehr schätzte, kenn ich diesen speziellen Humor. Irgendwas wird er schon aushecken…

Eine Eröffnung ohne Reden und Musik

Also wartete ich weiter. Bis gestern Abend. Ohne großes Aufsehen waren sie plötzlich da: Ulrich Fergenbauer, der Vorsitzende der Zuggemeinschaft, Axel Heilmann, der Chef des Großen Rates, und die zwei Kanonen. Mir wurde plötzlich ganz warm ums Herz. Jetzt wird alles gut, dachte ich. Aber da war noch ein Mann, einer, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Etwas kleiner und schmaler als Ulrich und Axel. „Das ist der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt“, raunte Ulrich mir leise zu. Oha, dachte ich bei mir.

Dann ging alles ganz schnell: Elf Mal wurden die Kanonen gezündet, ich habe mitgezählt. Es war Musik in meinen Schlängeln. „In Klaa Paris heißt das Gebot, das Zugsignal es steht auf Rot“, verkündeten meine Freunde das Motto, tätschelten mich und verschwanden wieder. So schnell, wie sie gekommen waren. Ohne Musik, ohne Reden.

Ich blieb alleine zurück und musste gar ein Tränchen verdrücken. Und dass, obwohl seit Jahrzehnten kein Wasser mehr durch meine Leitungen fließt. Es wird eine traurige Fastnacht werden in diesem Jahr. Wie es sie übrigens immer mal wieder gab hier bei uns in Klaa Paris. In der Zeit der Weltkriege zum Beispiel. Da war den Menschen nicht nach feiern zumute, was ich sehr gut verstehen konnte. Ich habe beide Ereignisse zum Glück schadlos überstanden. Nur ein bisschen saniert musste ich werden. Das war 1949, als zum 111. Mal Fastnacht gefeiert wurde. Das kann man sich in dem Alter dann doch mal erlauben. Zum Abschluss wurde ich sogar mit einer Gedenktafel verschönert. Nachdem ein pompöser Fackelzug durch die Gassen gezogen war. Nur für mich!

Und es wurde noch besser. Denn beim darauffolgenden Fastnachtsumzug habe ich tatsächlich jemanden kennengelernt, der noch älter war als ich: Adam Naaz, 122 Jahre alt, war von den Heddemer Käwwern, dem ältesten Heddernheimer und Frankfurter Fastnachtsverein, in Kanada ausfindig gemacht und eingeflogen worden. Er war als elfjähriger Bub tatsächlich dabei, als ich 1839 eingeweiht wurde. Was hab ich mich gefreut, mit ihm in Erinnerungen zu schwelgen, als Heddernheim noch eigenständig war, als statt Autos noch Pferdekutschen durch die Straßen rollten. Umso enttäuschter war ich, als ich merkte, dass ich gefoppt worden war. Denn Oberkäwwer und Liedermacher Hermann Libbach war in die Rolle des alten Mannes geschlüpft – gut unterhalten haben wir uns trotzdem.

Ich habe den Käwwern die Aktion nicht übelgenommen. Wie denn auch. Sie sind ja meine Familie. Wie auch die Fidelen Nassauern, die Kolpingfamilie und all die anderen Fastnachtsvereine. Die Eröffnung bei mir in Alt-Heddernheim wurde immer gefeiert, auch wenn der Umzug dann ausfallen musste. So wie 1991 wegen des Golfkrieges oder 2016, als er wegen einer Sturmwarnung abgesagt werden musste. Man kann ja nicht in die Zukunft blicken. Selbst ich nicht. Doch diese fünfte Jahreszeit ist eine ganz spezielle. Das weiß auch ich seit gestern Abend. Umso lauter rufe ich, stellvertretend für alle Narren, dreifach-donnernd: „Klaa Paris – helau – helau – helau!“

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