Am Ostersamstag öffnen die Siebers ihr Uhren-Geschäft letztmals
Hinter dem Verkaufstresen, an dem eine mannshohe Plastikscheibe noch an die Corona-Pandemie erinnert, stapeln sich leere Kartons und Verpackungsmaterial, in den Vitrinen liegen Schmuck und Uhren. Es herrscht Aufbruchsstimmung bei „Uhren Sieber“, dem Traditionsgeschäft in der Heddernheimer Landstraße. Deutlich aufgeräumter sieht es in der kleinen Werkstatt im angrenzenden Räumchen aus. In Reih und Glied hängen am Arbeitstisch in der Mitte des Raums Zangen nebeneinander, in jeglichen Farben und Größen. Welche er wann braucht, das weiß Norbert Sieber quasi im Schlaf. Hat er doch unzählige Nächte an dem Tischchen mit der grünen Leselampe gesessen und Uhren wieder zum Laufen gebracht. „Ich konnte erst schlafen, wenn sie wieder tickten“, sagt der 65-Jährige. Doch damit ist jetzt Schluss. Am Ostersamstag schließen Norbert und Gabriele Sieber ihr Geschäft. Das älteste seiner Art in Frankfurt, so Sieber. Damit endet zugleich auch eine Familientradition. War es doch Norbert Siebers Ur-Ur-Opa der das Geschäft 1835 eröffnete und das seitdem nicht nur am selben Ort, sondern auch stets in Familienhand war.
„Meine Töchter wollten nicht in meine Fußstapfen treten und einen Nachfolger, der das Geschäft in meinem Sinne weiterführt, habe ich leider nicht gefunden“, erklärt Norbert Sieber, warum er mit einem lachenden und einem weinenden Auge aufhört.
Großvater starb an der Ladentheke
Zwar freue er sich auf die Zeit als Rentner und auf viele Reisen mit seiner Frau Gabriele – wintercampen möchte das Paar und endlich bis in die Toscana fahren. Er sei aber trotzdem traurig. Weil er den Schlusspunkt setze hinter das Lebenswerk seines Vaters, Großvaters und seiner Urgroßväter. „Es ging aber nicht anders und ist ja keine Entscheidung, die ich von heute auf morgen gefällt habe. Bereits vor eineinhalb Jahren wurde mir bewusst, dass ich langsam Schluss machen muss. Mein Großvater ist tot hinter der Ladentheke zusammengebrochen – dieses Schicksal möchte ich nicht wiederholen“, sagt Norbert Sieber, lehnt sich in dem Stuhl hinter seinem Arbeitstisch zurück, an dem er so viele Stunden verbracht hat. Dann blickt er nach oben auf die Wand über den beiden Fenstern. Dort hängen die Bilder seiner Vorfahren und von ihm – alle Uhrmachermeister der Familie Sieber. In Reih und Glied.
Von Heddernheim bis nach Amerika
Das Bild ganz links zeigt den Gründer von „Uhren Sieber“ – Jakob. Als Wanderuhrmacher mit Rucksack, Hut und Stock verschlug es den jungen, im Schwarzwald geborenen Mann vor fast 200 Jahren nach Heddernheim. Wo er blieb. Der Liebe wegen. Magdalena Sieber hieß das Mädchen, das ihm den Kopf verdrehte und deren Familiennamen er übernahm. Gemeinsam eröffneten sie das Geschäft in der Heddernheimer Landstraße 22 und gründeten eine Familie.
Es waren vor allem Standuhren, die nach England und auch Amerika exportiert wurden, die dem jungen Paar den Lebensunterhalt sicherten. Aber auch Reparaturen für führende Frankfurter Juweliere. Standuhren waren und blieben allerdings lange Zeit das Herz der Siebers. Bis heute steht in der Werkstatt das Meisterwerk von Norbert Siebers Ur-Großvater.
Die industrielle Revolution hielt bald auch in Heddernheim Einzug, beim Bau von Weckern wurden eigene Patente entwickelt und an die Firma Junghans verkauft, erzählt Sieber.
Stets passte man sich den Anforderungen der Zeit an, so war sein Großvater im Zweiten Weltkrieg als Frontuhrmacher tätig: Die Offiziere gaben am Wochenende ihre Uhren zur Reparatur, montags mussten sie wieder laufen. Als das Geschäft der Familie durch einen Bombentreffer zerstört wurde, riss die Familie das Haus ab und baute an gleicher Stelle neu. „Wir haben uns nie unterkriegen lassen“, sagt Sieber.