„Man muss die Steine zum Sprechen bringen“

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Büro mit Aussicht. Wolfgang David, hier im Gespräch mit Oscar Unger, blickt genau auf das Karmeliterkloster. © sauda
Büro mit Aussicht. Wolfgang David, hier im Gespräch mit Oscar Unger, blickt genau auf das Karmeliterkloster. © sauda

Direktor des Archäologischen Museums zu Resten, Ausgrabungen und der Zukunft Nidas

Auf dem Gelände Römerstadt 126 bis 134 – dort wo heute noch die ehemaligen Versorgungsbaracken der Amerikaner stehen – will die Stadt 190 Wohnungen errichten. Das knapp ein Hektar große Areal ist aber der letzte noch nicht zur Gänze untersuchte Teil der verschwundenen römischen Stadt Nida (75 bis 280 n. Chr). Derzeit gräbt dort bereits die Bodendenkmalpflege nach Spuren. Über deren Bedeutung, mögliche Funde und ihren Erhalt – wie vom Ortsbeirat 8 gefordert – unterhielt sich der Leiter des Architektur-Museums, Dr. Wolfgang David, mit Redakteur Oscar Unger.

Bei der morgigen Sitzung des Ortsbeirates, 16. September, wird ABG-Chef Frank Junker erstmals die städtischen Baupläne der Frankfurt Holding öffentlich vorstellen. Die Sitzung im Bürgerhaus Nordweststadt, Walter-Möller-Platz, beginnt um 19.30 Uhr.

Unser Rathaus heißt zwar Römer, aber die römische Besiedlung an Main und Nidda hat in Frankfurt fast keine Lobby. Woran liegt das?

Da gibt es zwei Gründe. Zum einen die Fokussierung auf Karl den Großen. Siehe Kaiserdom, Kaisersaal. Der ist ausgemalte Geschichte – im Sinne einer deutschen Nationalgeschichte. Aber Frankfurt fängt nicht mit den Karolingern an. Mit den Römern hat man es sich aber immer etwas schwerer gemacht in Deutschland – aus patriotischen Gründen. Und die Stadtgesellschaft blickte immer schon mehr auf das Mittelalter und die Neuzeit. Zudem sind alle früh im 19. Jh. entdeckten Funde aus Nida nach Wiesbaden gekommen. Dort lagert noch heute ein bedeutendes Mithras-Kultbild im Depot. Wir haben ihn nur als Nachbildung im Museum. Erst nach der Annexion durch Preußen 1866 und der Gründung des Historischen Museums sind Neufunde auch nach Frankfurt gekommen.

Die Römerstadt wurde zweimal überbaut. Erst durch Ernst May, dann kam die Nordweststadt. Wenn das jetzt auch noch mit dem letzten Areal passiert, sind alle Spuren gelöscht. Was macht das mit einem Archäologen und Historiker?

Das tut einem in der Seele weh. Auf der anderen Seite kennt man das (lacht). Und man schaut, wie man jeweils damit umgeht. Letztlich: Was vorbei ist, ist vorbei. Man kann dem Steinraub aus dem 19. Jahrhundert nicht nachweinen. Man kann auch den Zerstörungen infolge der Errichtung der Römerstadt durch May und der Nordweststadt nicht nachtrauern. Deshalb sollte man nicht nur die Geschichte von Zerstörung und Niedergang erzählen, sondern die authentischen Spuren, die man dort noch hat, zum Sprechen bringen. Man muss das Beste aus dem machen, was noch vorhanden ist.

Unlängst hieß es, auf dem Gelände sei ohnehin nichts Spektakuläres zu erwarten. Der vermeintlich dreieckige Marktplatz hat sich bei der letzten Grabung auch als Weihebezirk entpuppt. Muss Nidas Geschichte umgeschrieben werden?

Man weiß nie, was im Boden ist. Aber wer entscheidet was spektakulär ist? Das entscheidet derjenige, dem irgendetwas gefällt. Aus welchen Gründen auch immer. Und spektakulär kann durchaus auch eine einfache Scherbe sein. Oder eine 2000 Jahre alte Hausecke. Das Argument, wir sind in Praunheim/Heddernheim nicht auf dem Forum Romanum, zieht deshalb nicht.

Was geschieht, wenn dort ein bedeutender Mauerrest gefunden wird?

Diese Entscheidung trifft dann die Denkmalpflege. Für mich als für Vermittlung zuständigen Museumsmann ist es wichtig, das Original an Ort und Stelle zu erhalten, um die Topographie deutlich machen zu können. Seht her: Hier haben wir einen originalen Keller im Boden. Und das seit fast 2000 Jahren. Fast unverändert.

Wie funktioniert das Zusammenspiel von der erwähnten Bodendenkmalpflege – quasi den Ausgräbern – und der Archäologie? Wer entscheidet was bleibt, was zugeschüttet wird?

Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Aber es hängt auch von den Bürgern und der Politik ab, die sagen, wir möchten Authentisches erhalten und etwas entwickeln. Wir möchten ein Römerhaus, einen Keltenhügel haben. Oft ist dies aber auch eine Frage des Geldes.

Die Leiterin der Bodendenkmalpflege in Frankfurt, Frau Dr. Andrea Hampel, hat einmal gesagt, am liebsten würde sie überhaupt nichts ausgraben. Alles soll da bleiben, wo es ist.

Da hat sie vollkommen recht. Aber die Bodendenkmalpflege muss oft einen Spagat zwischen den Wünschen von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft machen. Auch da gibt es bundesweit große Unterschiede, die ich nicht werten will.

Die Bedeutung des Geländes, um das es hier geht, ist aber doch belegt?

Als man in den späten 1990er und den 2000er-Jahren im nördlichen Teil ausgrub, war man überrascht, wie viele Steinkeller man dort fand. Das lässt sich in den Berichten von Frau Dr. Hampel nachlesen. Auch die Schutzhütten über den Bodendenkmälern wurden von der Stadt damals nicht ohne Grund gebaut; deren Wert wird jetzt möglicherweise neu beurteilt. Aber auch im noch nicht ausgegrabenen südlichen Teil des Geländes könnten durchaus noch größerer Überraschungen im Boden verborgen sein

Warum hat man den Neubau der Römerstadtschule nicht dazu genutzt, dort eine pädagogische Außenstelle ihres Museums zu integrieren?

Das war lange vor meinem Dienstantritt hier. Ich bin erst vor dreieinhalb Jahren nach Frankfurt gekommen. Aber ich möchte natürlich mit Workshops für Kinder und einer kleinen Ausstellung in Nida präsent sein. Und damit nach außen deutlich und verständlich machen: Frankfurt hat einen römischen Ursprung. Und darauf kann die Stadt stolz sein. Mir schweben etwa 100 Quadratmeter vor. Für Unterricht, Vorträge und Veranstaltungen, die wir mit unserer pädagogischen Abteilung bespielen.

Und darüber hinaus?

Man kann sich vorstellen, bei entsprechenden Architekturresten ein Gebäude teilweise auf Pfeiler zu setzen, so dass man von der Straße aus auf die römischen Kellerfundamente gucken kann. Für so etwas gibt es zahlreiche gelungene Beispiele aus dem gesamten Römischen Reich. Und eine Tiefgarage kann durchaus Bodendenkmäler erschließen bei Verzicht auf den einen oder anderen Stellplatz.

Alea iacta est! Sind die Würfel gefallen? Gegen einen – wie auch immer gearteten – Römerpark, eine Museumsdependance?

Ich kann nur sagen, dass man sich keinen künstlichen Zeitdruck aufbauen sollte, sondern erst einmal die Ergebnisse der aktuellen Ausgrabungen des Denkmalamtes Frankfurt abwartet. Ich vertraue voll und ganz auf die Stadtgesellschaft und die zuständigen Dezernate.

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