Das Neue Frankfurt neu denken

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Astrid Wuttke, die neue Vorsitzende der Ernst-May-Gesellschaft, die im Burgfeld 136 in der Siedlung Römerstadt ein Musterhaus nebst Garten betreibt. © oscar Unger
Astrid Wuttke, die neue Vorsitzende der Ernst-May-Gesellschaft, die im Burgfeld 136 in der Siedlung Römerstadt ein Musterhaus nebst Garten betreibt. © oscar Unger

Ernst-May-Gesellschaft wird erstmals von einer Frau geführt – Architektin mit Plänen

Premiere und ein Wiedersehen. Erstmals bestimmt mit Astrid Wuttke (50) eine Frau die Geschicke der Ernst-May-Gesellschaft (emg). Und anders als ihre Vorgänger ist die neue Vorsitzende keine Kunsthistorikerin, sondern Architektin. Eine Frau vom Baufach. 2017 wurde sie zudem in den Hessischen Landesdenkmalrat berufen.

Einstimmig gewählt

Bei der Jahreshauptversammlung der emg gestern Abend wurde Wuttke ohne Gegenkandidaten an die Spitze der Gesellschaft mit gut 300 Mitgliedern gewählt. Ihr Vorgänger Klaus Klemp trat nach zweimal zwei Jahren nicht mehr an. Er will sich fürderhin um das Werk des Designers Dieter Rams kümmern, der speziell für den Elektrogeräte-Hersteller Braun tätig war.

Astrid Wuttke hat Architektur an der TH Darmstadt und in Barcelona studiert. Heute ist sie Partnerin des auch international renommierten Architekturbüros schneider + schumacher. „Natürlich habe ich wie jeder Student meines Faches von Ernst May gehört. Aber erst als ich gefragt wurde, ob ich den Vorstand in der emg übernehmen will, habe ich mich mit ihm wieder intensivier beschäftigt“, sagt Wuttke. Ihr zuvor letzter Kontakt mit dem Werk des kongenialen Planers des Neuen Frankfurt (1925 bis 1930) und dem Musterhaus, das die emg in der Römerstadt unterhält, hatte sie 2016. Damals hatten schneider + schumacher alle Mitarbeiter dorthin zur Weihnachtsfeier eingeladen. Und waren dann mit ihren Leuten die Nidda abwärts bis zum Bolongaropalast in Höchst gewandert, dessen Sanierung ebenfalls von dem Büro betreut wird.

„Seit meinem letzten Besuch in der Römerstadt hat sich einiges getan“, sagt die neue Vorsitzende nach einem ersten Rundgang durch die 1927/28 gebaute Siedlung. Die im Besitz der ABG Frankfurt Holding ist. „Offensichtlich wird auf allerlei geachtet. Es ist zu begrüßen, dass überhaupt etwa passiert“, so die Denkmalschützerin ganz diplomatisch.

Ihr Faible für Architektur wurde bei der in Langen geborenen Wuttke schon früh bei Ausflügen mit den Großeltern in das nahe Jagd-Schloss Wolfsgarten mit seinem Prinzessinnenanbau geweckt. Im Studium entdeckte sie zunächst ihre Liebe zum Jugendstil. Der sie nie losließ. So lag es nahe, dass Wuttke im Hochzeitsturm auf der Darmstädter Mathildenhöhe heiratete. Seit 2012 leitet die Mutter zweier Kinder (14, 17) dort die denkmalgerechte Sanierung des Ausstellungsgebäudes. Das Gesamtensemble ist seit 2021 Unesco-Weltkulturerbe.

Ehrfurcht vor dem Alten

Dort findet sich auch der vielzitierte Satz des Architekten Ernst Ludwig (1868 bis 1937), dem Vater der Mathildenhöhe: „Habe Ehrfurcht vor dem Alten und Mut das Neue frisch zu wagen.“ Er könnte auch Wuttkes Leitmotiv sein.

Denn die Architektin will als neue Vorsitzende der Ernst-May-Gesellschaft nicht nur Erbe und Andenken des berühmten Kollegen pflegen, sondern die Zukunft gestalten. „Das Neue Frankfurt neu denken“, nennt sie das. Denn nach fast 100 Jahren – das große Jubiläum wird 2025 gefeiert – gebe es neue Anforderungen. Wichtige Themen seien die Fassadenisolierung und Photovoltaik. Nicht auf der denkmalgeschützten Römerstadt aber zum Beispiel der Siedlung Praunheim. Oder anderen, nicht städtischen Nachbarschaften. „Bevor da jeder auf seinem Dach anfängt, könnte man aber auch über eine gemeinsame Anlage an geeigneter Stelle nachdenken“, sagt Wuttke. Und begibt sich damit auf die Spuren von May. Der hatte etwa für die Römerstadt und Zick-Zack-Hausen in Niederrad ein Siedlungsradio mit einem zentralen Empfänger verwirklicht, um die damals langen Schleppantennen an jedem Haus für das neue Medium zu verhindern. Damals eine bautechnische Premiere.

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